Georg Grolimund berichtet von seinem Everest- Treck
in Nepal

Im Oktober 1992 unternahm ich mit meiner Freundin Iris eine zweiwöchige
Wanderung ins Solu Khumbu-Gebiet in Nepal, wo der berühmte Everest- Treck
liegt. Nachdem innert 8 Wochen zwei Flugzeugabstürze bei Kathmandu zu ver-
zeichnen waren, verliessen wir die Schweiz mit gemischten Gefühlen am 1. Okto-
ber. Wir flogen von Basel über London nach Delhi und weiter nach Kathmandu.
Mit 50 kg Gepäck (Essen und nur Trekking-Ausrüstung) erreichen wir sicher die
Hauptstadt. Hier erleben wir unseren ersten Kulturschock: Bettler, Slums, die
Dritte Welt -und doch lachen die freundlichen Menschen stets, besitzen eine
fröhliche Mentalität. Mit Englisch und Handzeichen verständigen wir uns mit den
Nepali. Hier herrscht buntes Markttreiben, wir besuchen Nepals ältestes Heiligtum,
die Stupa voh Swayambhunath, auch bekannt als Affentempel (Monkey Temple).

Am nächsten Tag starten wir Bodnath und Pashupatinath einen Besuch ab, wo
die Toten am Bagmati-Fluss verbrannt werden. Nun gilt es ernst, wir müssen
organisieren. Für die nächsten drei Monate in Nepal, Thailand und Neuseeland
haben wir nur die Flüge gebucht, alles andere organisieren wir selbst. Monatelang
habe ich Nepal studiert, nun gehen wir bald auf den Everest- neck. Über das
Langtang-Ri- nekking-Büro buchen wir einen One-way-Flug nach Lukla, wo das
Abenteuer beginnt. Um nicht stundenlang vor dem «Immigration Office» anzuste-
hen, besorgt uns das Büro auch die «Trekking Permits» mit Foto. Weil wir nicht
wissen, wie es in Lukla mit Trägern aussieht, bekommen wir hier schon einen
Sherpa gegen einen kleinen Aufpreis. Sein Name ist Sherpa Rudra Bahadur Magar,
22 Jahre alt. Wir wollen nur einen Träger (Porter), nicht einen Führer (Guide).
Sherpa Rudra kostet uns pro Tag etwa zehn Franken und trägt bis zu 40 kg Last.
Hier im Büro besprechen wir die Route, am Abend besucht uns Rudra im Hotel,
und zusammen besprechen wir das Trekking, legen die Etappen fest. Rudras Lohn
bezahlen wir im voraus an das Trekkingbüro.

Unser Hauptziel am Everest-Treck ist der Kala Pattar, 5545 rn ü.M. gelegen,
ein Moränenhügel am Westsporn des Pumori, 7145 rn. Der Kala Pattar ist der
höchste gebührenfreie Aussichtspunkt im Solu Khumbu in Ost-Nepal. Nach fünf
Tagen in Kathmandu geht's nun los, wir fliegen in den Himalaya. Heute ist der
6. Oktober 1992: wir haben gepackt. Sherpa Rudra kommt um 7.30 Uhr ins Hotel:
jetzt ein Taxi zum Flughafen. Gegen zehn Uhr starten wir mit einer «Twin Otter»
der Royal Nepal Airlines. Bevor die Eisriesen vor uns auftauchen, überfliegen wir
das Hochland mit seinen vielen grünen Hügeln und Reisterrassen. Bald kommt das,
was wir aus Büchern und Videos schon längst wissen: Die Horror-Landepiste von
Lukla, 2800 rn ü.M. & ist eine Sandsteinpiste auf einer Wiese, ziemlich schräg
aufwärts, davor liegt eine tiefe Schlucht und dahinter steht ein Berg. Nach 45
Minuten Flugzeit landen wir so holprig in Lukla, dass ich das Gefühl habe, es reisse
uns jeden Moment die Achse unter unseren Füssen weg. Geschafft! Viele Menschen
säumen das Gelände um den Flugplatz herum.

Die Bilder können
durch anklicken
vergrössert weden.


Das Wort Sher-pa bedeutet «die Menschen aus dem Osten», sie stammen aus
dem nahen Tibet. Mit der zweiten Maschine landet auch Rudra. Jetzt geht's los. In
den kommenden zwei Wochen durchwandern wir den «Mount Everest National
Park» von Lukla, 2800 rn, bis zum Kala Pattar, 5545 m/Everest Base Camp,
5300 rn. Wir stehen auf der «Hauptstrasse» des typischen Sherpa-Dorfes. Kinder
rennen durch die Gassen, es ist warm, gerade richtig zum Trekken.

1. Etappe:
Lukla, 2850 m-Phakding, 2650 rn. Gemütlich geht's zuerst hinun-
ter; wir durchwandern zu dritt einen Rhododendrenwald, dann kommen wir zum
«Dudh Kosi» (Milchfluss ). Mein Rucksack wiegt 20 kg, Rudra trägt Iris' Rucksack
mit 20 kg, sie selbst trägt einen kleinen Tagesrucksack. Bei der ersten Tee-Lodge,
«New Tea Room», essen wir zum erstenmal das nepalesische Nationalgericht
«Daal Baath»: ein riesiger Teller mit weissem Reis und Linsen. Dazu Tee mit
Milch; bei dieser Höhe müssen wir nun immer viel trinken.
Da ich merke, dass ich in Sachen Arbeitsbeschaffung hier etwas tun kann und
den Treck mit geringerem Gepäck mehr geniessen kann, entschliesse ich mich,
auch einen Träger zu nehmen. Rudra übernimmt das. Ich habe letzten Sommer in
den Alpen weiss Gott genug geschleppt, schliesslich ist dies unsere vorgezogene
Hochzeitsreise! Der Träger kommt mit uns bis Namche Bazar für Fr. 4.50 pro Tag.
Es geht aufwärts, wir treffen auf die erste Chorte mit Manisteinen, die man links
umlaufen soll. Buddha ist allgegenwärtig. Nach dreieinhalb Stunden reiner
Marschzeit erreichen wir Phakding, 2650 rn; zum Esen in die erste Tee-Lodge, wir
werden hier übernachten. Sogar ein eigenes Zimmer stellen uns die beiden Sherpas
zur Verfügung. Der Zimmerpreis für uns und die Träger beträgt 30 Rupies, 70
Rappen; es ist nicht zu fassen.
Temperatur um 17 Uhr: 11,2 °C, Luftdruck nur noch 786 mb. In Kathmandu
hatten wir auf 1400 rn ü.M. noch knapp 1000 mb. Es wird kühl, Nebelschwaden
ziehen auf, um 18 Uhr ist es bereits dunkel. Gemütlich sitzen wir in der Stube um
den Ofen herum, ich schreibe an meinem Tourenbuch. Als wir am nächsten Morgen
die Augen aufschlagen, leucbtet der Tramserku, 6608 rn, ins Zimmer.

2. Etappe
: Phakding, 2650 m-Namche Bazar, 3440 rn. Wieder queren wir den
Fluss, nach einer Stunde erreichen wir den Parkeingang des «Everest (Sagarmatha)
National Park». Hier müssen wir beide unsere «Trekking Permits» vorzeigen und
eine Gebühr von 33 Franken für bis zu 20 Tagen Aufenthaltsdauer bezahlen. Ein
Österreicher neben uns muss 100 US-Dollar hinterlegen, damit er im Park Über-
haupt filmen darf. Über Jorsale wandern wir zur berühmten Hillary-Hängebrücke.
Der Erstbesteiger des Mount Everest - zusammen mit Sherpa Tenzing Norgay -
gründete oben in Khumjung auch eine Schule. Der Everest- Treck ist ein ewiges Auf
und Ab in diesem Teil des Khumbu. Später nochmals eine Hängebrücke mit
Gebetsfahnen, die die Menschen beschützen sollen. Dann erreichen wir -nach vier
Stunden Marsch -die Höhe von 3000 rn ü.M. Wieder Teepause, und nach einer
Stunde erreichen wir das grosse Sherpadorf Namche Bazar auf 3440 rn. Von hier
aus starten alle grossen Expeditionen. Namche ist das einzige Dorf, das elektrisches
Licht besitzt. Wir werden nun zwei Tage akklimatisieren. Das ist sehr wichtig für
den weiteren Verlauf unseres Trecks. Rudra zeigt uns die «Himalaya Lodge», wo
wir ein Zimmer nehmen.
Am späteren Nachmittag ziehen immer mehr Wolken auf; wir schauen uns das
Dorf an, machen Einkäufe. In der Lodge herrschen knappe 8 °C. Wir werden von
der freundlichen Familie in die warme Küche gebeten, wo wir den ganzen Abend
verbringen dürfen. Hier kann man am Familienleben teilnehmen, die Menschen
sind sehr nett. Viele Nepali essen mit der Hand, und zwar mit der rechten, da die
linke als schmutzig gilt. Ich darf hier auch fotografieren, man muss die Leute nur
zuerst fragen. Der neue Träger wird ausbezahlt. Rudra hat einen unglaublichen
Hunger. Kein Wunder, denn die Trägerdienste verlangen unglaubliche Leistungen;
auch für Frauen sind 30 kg und mehr keine Seltenheit. Um 20.30 Uhr liegen wir
schon in unseren warmen Daunenschlafsäcken.
Ein sonniger Tag bricht an. Die W C seien furchtbar, meinte Iris schon gestern.
Ich suche mir mein stilles Örtchen zwischen Steinmauern. Heute mieten wir zwei
Zelte und vier Liegematten beim Wirt der Lodge, dazu Sherpa Mingmar für zehn
Tage und das Essen in den Lodgen. Alles zusammen kostet uns ganze 13 Franken
pro Tag. Dazu noch Postkarten für später und drei Gasbomben.
Jetzt sehen wir zum erstenmal diese Yaks, die berühmten Tragtiere. Sie leben
erst ab einer Höhe von etwa 3400 m; wenn man sie ins Tal herunterholt, gehen sie
ein. Die Yaks sind sehr vielseitig nutzbar, die Bergbewohner gebrauchen das Fell,
die Milch, das Fleisch, Knochen, Hörner und den getrockneten Mist zum Feuern.
Abends gibt es Reis und Ei, dazu Raksi, den nepalesischen Reisschnaps. Ein
Sechstausender leuchtet uns auf den Tisch. Die Stimmung ist einmalig.

9. Oktober, 3. Etappe:
Namche Bazar, 3440 m -Thyangboche, 3867 m. Gold-
fasane schleichen durch die farbenfrohe Landschaft, nach einer halben Stunde
sehen wir das Himalaya-Edelweiss inmitten vieler anderer Bergblumen. In der
Schweiz sah ich das Edelweiss erst dreimal, doch hier wächst es in riesiger Anzahl,
millionenfach. Nach jeder Ecke, jeder Kurve zeigen sich neue Perspektiven. Dann
taucht die Amai Dablan, 6856 m, auf, der heilige Berg. Ein wunderbarer Berg, der
schönste von allen. Will man ihn besteigen, so zahlt man neben der Gebühr noch
einen weiteren Betrag, weil er eben heilig ist. Mehrfach steigen die Sherpas und
auch Alpinisten nicht ganz auf den Gipfel hinauf.
Nun kommt uns eine Yakherde entgegen, freundlich grüssen die Treiber den
Besucher mit «Namaste!», was so viel heisst wie: «Ich grüsse Dich und alle guten
Götter in Dir!» Erstmals tauchen vor uns die berühmten Eisriesen auf, wir haben
Blickkontakt mit Mount Everest, 8848 m, Nuptse, 7879 m, Lhotse, 8501 m, und
Lhotse Shar. Es ist phantastisch: die höchsten Berge der Welt. Sie stehen da wie
eine riesige Staumauer. Unser Weg neigt sich nun wieder leicht, wir wandern
hinunter zur Hängebrücke, nach Phunki, auf 3050 m. Hier, nahe der wenigen
Lodgen, stehen in drei Steinhäuschen riesige Gebetsmühlen, der Bach fliesst unten
durch. Dazu je ein Wasserrädchen, die Mühlen drehen sich immerzu. Sehr prak-
tisch. Nach dem Mittagessen stehen wir vor dem steilen Weg, der hinaufführt zum
Kloster Thyangboche. Zuerst im Zickzack durch den Wald, weiter oben brennt die
Sonne auf uns hinunter, es ist heiss. Immer wieder eine kurze Rast, die 800
Höhenmeter schaffen wir in zwei Stunden. Am späteren Nachmittag treffen wir in
Thyangboche ein und finden eine gute Teelodge. Von hier aus zeigt sich die Amai
Dablan am schönsten, sie ziert auch die 1-Rupie-Note. Die «StaumaueD) liegt noch
im Sonnenlicht, bald wird es dunkel.
Am Abend lernen wir einen Schweizer kennen, Rafael Wellig aus Fiesch. Er
war an der jetzigen Schweizer Mount-Everest-Expedition beteiligt, von deren elf
Teilnehmern nur einer den Gipfel erreichen konnte. Rafael hat sich auf 7900 m im
South Coi des Everest zwei schwarze Zehen zugezogen, als er sich beim Zelt-
freischaufeln ein paar Minuten nicht bewegte. Zu seinem Glück hat er vom Expe-
ditionsarzt sofort eine Infusion bekommen, nun steigt er ab nach Namche.
In dieser Stube sitzen weitere bekannte Leute, etwa ein Italiener, der die
Lyskamm- und die Dufour-Ostwand mit Skiern befuhr. Rafael war vor dieser
Expedition in Nepal mit Grenzgänger Andrea Vogel im Tessin unterwegs und
begleitete ihn fünf Tage auf seiner Grenztour. Wir beide waren die ersten, die ihm
von Vogels Erfolg berichten konnten.

10. Oktober, 4. Etappe: Thyangboche-Pheriche, 4288 rn. Abmarsch um 9 Uhr.
Immer wieder fliegen Helikopter über unsere Köpfe hinweg, der einzige Lärm hier
oben. Es sind Rettungsflüge vom Everest Base Camp. Vor 14 Tagen starben hier auf
3800 m ein Koreaner an einem Hirnödem und eine Holländerin unten in Namche
Bazar. In diesen Tagen fordert ein Busunglück zwischen Kathmandu und Jiri
dreissig Todesopfer, als der Bus in eine Schlucht stürzt. Deshalb sind wir auch bis
Lukla geflogen.
Jetzt geht's hinunter auf 3600 m, nach zwei Stunden erreichen wir 4000 m
ü.M. Weiter hinauf über herrliche Blumenwiesen nach Pheriche auf 4288 m. Meine
Freundin Iris übertrifft ihren Höhenrekord vom Walliser Breithorn (4165 m). Alles
darüber ist für sie noch neu. Noch einmal über den Fluss, dann sind wir auf der
Hochebene von Pheriche. Hier bleiben wir wiederum zwei Tage zum Akklimatisie-
ren. Temperatur: 14 °C, Luftdruck: 661 mb. Noch vor nicht langer Zeit hatten wir
auf 4000 m die Baumgrenze verlassen, es ist kaum zu glauben. Für ein paar
Minuten leuchtet der Pumori, 7145 m, zwischen Felsbergen hervor. Vor ihm liegt
unser Ziel, der Kala Pattar, den wir aber noch nicht sehen. Rechts der Route geht's
hinüber ins Gokyo-Tal und zum Island-Peak, einem vielbestiegenen Sechstausen-
der. Dafür müsste man eine weitere Gebühr entrichten. Man kann es nicht vermei-
den, Veilchen und Edelweiss zu zertrampeln, so viele wachsen hier.
Heute wandern wir knappe 5 Stunden. In Pheriche finden wir auch bald eine
Lodge, sogar mit Privatzimmer. Die Umgebung und das Wetter sind phantastisch.
Hier liegt eine Forschungsstation für Höhenkrankheiten, und Italiener vermessen
die Berggipfel in diesen Wochen neu mit Laserstrahlen. Plötzlich fliegt da einer aus
etwa 4600 m mit seinem Gleitschirm ins Dorf hinab. Jetzt leiste ich mir die erste
Dusche auf diesem Treck, es ist herrlich. Die Wirtin steigt mit der heissen Pfanne
auf die Leiter und ruft «Hot Shower». Im kleinen Kabinchen kann ich unter dem
Wasserbehälter das köstliche Nass regulieren. Am Abend bekommt Iris Stiche im
Herz und leichtes Fieber; dauernd koche ich für sie Tee. Es ist saukalt, um 20 Uhr
liegen wir in den Schlafsäcken.

 

 

11. Oktober, ein Ruhetag. Um 8 Uhr messe ich im Zimmer 3 °C. Heute ist der erste
Tag mit mehr Wolken, doch die Sonne scheint immer wieder. In der nächsten Nacht
kommt der erste Regen seit sieben Tagen, wir schlafen täglich zwischen neun und
elf Stunden. Iris wird kranker, wir denken schon an eine Umkehr.

12. Oktober, 5. Etappe:
Zuerst Regen und Schneegemisch, dann wird's besser. Auch
Iris ist «zwäg». Um zehn Uhr laufen wir weiter, heute geht's mächtig bergan. Die
Landschaft wird kahler. Wir kommen unserem Ziel näher. Durch die Ebene von
Pheriche wandern wir zur Alp Dughla, 4600 m, hinauf. Nach einer Stunde errei-
chen wir Matterhornhöhe, nach zwei Stunden bald die Höhe der Dufourspitze; wir
werden immer langsamer. Jetzt übertreffe ich meinen eigenen Höhenrekord,
4634 m. Um 13 Uhr befinden wir uns auf der Höhe des Mont Blanc, 4800 m, und
es ist überall noch grün. Nach vier Stunden treffen wir in Lobuche, 4940 m, auf das
angeblich letzte Dorf, sagt mein Führerbuch.
Nebel zieht auf, wir sehen kein Panorama mehr. Nun ist es an der Zeit, unsere Zelte
aufzustellen. Unser blau-rotes hat einer «Korean Cho Oyu Expedition 1989»
gehört.
Heute abend wollen wir etwas Spezielles kochen: Seit zweieinhalb Wochen tra-
gen wir ein Gerber-Fondue mit uns herum, dazu vakuumiertes Brot und drei 3/8-
Fläschchen Waadtländer Weisswein «Aigle Grand Volet 1990». Und nun genies-
sen wir das alles zusammen im fernen Himalaya auf 4900 m ü.M. Gewaltig, ein-
malig. Vielen Dank an meine Mutter, die Idee war super. So sitzen wir nun im
Zelt, bei Fondue auf dem Gaskocher, und haben es sehr gemütlich. Draussen bläst
der Wind, leichter Schneefall. Sherpa Rudra singt im Zelt nebenan. Später beste-
hen wir einen kleinen Kampf gegen das Wasser im Zeltboden. Wir relaxen und
geniessen, es ist eine tolle Atmosphäre.
13. Oktober: Ein schöner Tag kündigt sich an, es liegt ein wenig Schnee. 7 Uhr .
Nun drückt die Sonne hinter dem Nuptse ihre Strahlen durch den Nebel. Immer
wieder kommen neue Expeditionen nach Lobuche. Es hat sehr schöne Vögel hier
und riesige Bergdohlen, die spezielle Laute ausstossen. Luftdruck 601 mb auf
4930 m. Uns beiden geht's nun besser. 70 Meter über unserem Zelt liegt die
5000er-Grenze, es ist verlockend, die Wiese hinaufzusteigen. Wir werden nun
zum drittenmal zwei Tage am Ort bleiben, der Körper wird es uns danken. Mittag-
essen, jassen, warten; unsere Sherpas erforschen die nahe Moräne. Wir kochen das
Wasser vom nahen Bach ab und werfen noch ein Micropur hinein. Um 18 Uhr jas-
sen wir schon mit der Stirnlampe. Die Teeflaschen gebrauchen wir als Bettfla-
schen, wunderbar. Draussen leuchten die Sterne.

14. Oktober, 6. Etappe:
Lobuche, 4930 m-Gorak Shep, 5100 m-Kala Pattar,
5545 rn. Meistens nach dem Schlafen spürt man ein leichtes Kopfweh. Das Wetter
ist Spitze, das ist der richtige Tag für «unseren» Gipfel. Es hält mich nicht im Zelt,
ich laufe den Hang hoch, nach 10 Minuten stehe ich das erstemal auf 5000 rn ü.M.
Von hier aus sehe ich den Kala Pattar vor dem Pumori. Jetzt geht's los, der letzte
Aufstieg. Zelte abbrechen, packen. Über riesigen Moränenschutt steigen wir auf
nach Gorak Shep. Hier gibt's immerhin noch drei Tee-Lodges. Nach zwei Stunden
sind wir in Gorak Shep, was «Tote Krähe» bedeutet. Die riesige Wand des Nuptse
baut sich vor uns auf. Ein Tee in der Lodge, Rudra stellt die Zelte wieder auf. Der
Kala Pattar ist schneefrei, wir sehen die Aufstiegsweglein. Wir wandern über die
westlichen Wiesenhänge, die gegen die höchste Erhebung in Geröll übergeht. Man
wird nun immer langsamer, während des Aufstiegs taucht der Mount Everest im-
mer mehr neben dem Nuptse auf. Nach zwei Stunden erreichen wir unseren höch-
sten Punkt im Himalaya, wir stehen auf dem Geröllgipfel des Kala Pattar, 5545 m
ü.M. Geschafft, wir sind happy. Iris steckt den Daumen hoch zum Siegeszeichen.
Jetzt haben wir einen Fünfeinhalbtausender im Sack. Es ist warm, wir haben be-
stes Wetter. 12.30 Uhr. Luftdruck nur noch 400 mb, Wahnsinn. Die Aussicht ist
absolut phantastisch, es ist ein atemberaubender Anblick, es schlägt einen fast
zurück. Der Everest steht nur noch 9 km Luftlinie von uns entfernt da, obwohl er
sich noch fast 3550 m von uns abhebt. Die Nordwand, die Gipfelpyramide besteht
aus schwarzem Fels. Vor den höchsten Bergen der Welt liegt 250 m unter uns das
berühmte Everest Base Camp am Eisbruch des Khumbu-Gletschers. Nur die Rus-
sen sind noch da, hören wir soeben. Eigentlich wollte ich noch zum Base Camp
hinunterwandern, doch nur die vielen Gas- und Sauerstoffflaschen zu sehen, ist
wenig interessant. Das Panorama: hinter uns der Pumori, 7145 rn, mit Westschul-
ter, Lingtren, 6697 rn, Khumbutse, 6640 rn, Changtse, 7550 rn, Cho-La-Pass, 6006
rn, Mount Everest, 8848 rn, South Col, 7986 rn, Lhotse, 8501 rn, Nuptse, 7879 rn,
im Süden die Amai Dablam, 6856 rn, Pokalde, 5806 rn, Thamserku, 6608 rn, im
Westen Changri La, 6853 rn.
Es ist gewaltig. Gegen Westen wehen Gebetsfahnen im Wind. Wir schauen hin-
unter nach Gorak Shep, die riesige Moräne des Khumbu-Gletschers zieht sich
nach Lobuche hinunter. Wir geniessen, machen viele Fotos, die ersten «Alpen-
groupies» inmitten derhöchsten Berge der Erde. Jetzt ist es Zeit für unseren Gip-
felwein. Mit unseren Zinnbechern stossen wir auf dieses herrliche Erlebnis an.
Man kann hier auf dem Kala noch ein Stück weiter über Granitblöcke klettern,
Richtung Pumori über den Westgrat. Iris wartet hier, ich schaue mir die Sache an,
treffe Hans aus dem Tessin. Zusammen gehen wir weiter. Nach 40 Minuten errei-
che ich meinen Höhenrekord auf 5690 rn ü.M. Tolle Sache. Aber hier weiterzuge-
hen ohne Seil wäre Leichtsinn. Ich bin bald am ersten Schnee, habe meine Sache
gehabt. Nun zurück zu Iris; langsam dröhnt mein Schädel. Auch der Wein ist
schuld daran auf dieser Höhe. Einen Stein nehme ich noch mit, dann steigen wir
ab nach Gorak Shep, eine Stunde. Rudra und Mingmar haben die Zelte schon wie-
der aufgebaut. Den Rest des Tages verbringen wir in der «Gartenbeiz» einer Lod-
ge. Die kleine Tochter der Wirtin steht stramm für ein Foto, bekommt danach von
Iris ein paar Zehnermocken. Meistens kommen die Kinder zu uns und rufen «Hal-
lo Bonbon». Wir haben einen ganzen Sack davon dabei. Unseren Trägern schen-
ken wir drei Hemden. Abends Karten schreiben, nach dem Essen rauche ich meine
Zigarette, hier auf 5100 m brauche ich ganze vierzehn Minuten dazu. Die Luft ist
schon sehr dünn. Ichbin sehr stolz auf meine Freundin, dass sie durchgehalten hat,
mit Schmerzen und einem Druck im Kopf. Bravo Iris! Unser grosses Ziel ist nun,
nach 9 Tagen Trekking, erreicht; wir steigen morgen ab bis nach Pheriche. Nachts
im Zelt essen wir einen «John Wayne», ein Schweinsvoressen von der Armee.
Draussen ist es bitterkalt, Temperatur -5,4 aC, Luftdruck 584 mb.

 



15. Oktober, 7. Etappe:
Gorak Shep-Pheriche. Heute gibt's wieder einen wun-
derschönen Tag. Die Eiskristalle hängen noch lange an den Pflanzen, der Pumori
leuchtet strahlend weiss vor diesem herrlichen Blau zu uns herunter. Der höchste
Punkt des Kala Pattar liegt noch im Schatten. Während wir die Zelte abbauen, gra-
sen einige zufriedene Yaks neben uns. Noch ein Gruppenfoto vor diesem Superp-
anorama, ein letzter Blick zurück, und schon queren wir den Moränenschutt des
Khumbugletschers. Nach zweieinhalb Stunden erreichen wir die Hochalm Dughla.
Das Mittagessen: eine Frühlingsrolle. Gefeuert wird mit Yak-Mist und Holz. An
vielen Steinmännchen geht's vorbei in die Ebene von Pheriche und weiter ins
Dorf. Hier geniessen wir beide unsere zweite «Hot Shower» und die besten Pom-
mes-Frites im östlichen Himalaya, dazu zur Belohnung «San Miguel Beer». Sher-
pa Mingmar hat sein neues Hemd schon mal anprobiert. Am nächsten Morgen we-
nig Regen und Nebel um 7 Uhr.

8. Etappe:
Pheriche-K1oster Pangboche, 3985 m-Thyangoche. Wir haben uns
nun 25 Stunden auf über 5000 rn ü.M. und 144 Stunden oberhalb 4000 rn befun-
den. Wir steigen gemütlich ab und nehmen etwas vor Pangboche den oberen Weg,
kommen an vielen Manisteinen und jungen Yaks vorbei. Nach zwei Stunden tref-
fen wir im Dorf und Kloster Pangboche ein. Hier möchten wir den berühmten
Yeti-Skalp und das Handgelenk beim Lama sehen, denn in den höheren Regionen
war uns der Yeti nicht begegnet. Ich bin gespannt, kenne den Skalp von einer Foto
her. Doch welche Enttäuschung: beide Reliquien wurden letztes Jahr von Schatz-
räubern gestohlen. Wir kommen zu spät; in Nepal wird leider viel geplündert. Hier
im Dorf steht auch eine Stupe. Wir erreichen die Baumgrenze. In den schönsten
Farben leuchten die verschiedensten Bäume und Sträucher. Dann kommt der Ne-
bel auch nach Pangboche. Hinunter zum Fluss, über Brücken, dann durch die Rho-
dodendron- Wälder. Mit «Namaste, Didi» wird Iris gegrüsst, was soviel heisst wie
«jüngere Schwester». Dann geht es steil bergauf nach Thyangboche. Da erklingen
Hörner und Stimmen der Mönche. Die Marschzeit heute: 4 Stunden. Die Nacht
wird kalt, der Abend gemütlich.

9. Etappe: Thyangboche-Hotel Everest View-Namche Bazar. Am Morgen be-
sichtigen wir das sich noch im Bau befindende Kloster, da es 1989 abbrannte. Bei
schönstem Wetter wandern wir hinunter nach Phunki, über den Dudh-Kosi-F]uss
und wieder hinauf nach Sanasa, 3400 m. Hier nehmen wir den oberen Weg nach
Khumjung und gleich zum Everest View Rotel, das von den Japanern erbaut wur-
de. Dazu gehört die Flugpiste Thyangboche; das alles ist eine tota]e Fehlinvestiti-
on. Ein moderner Komplex, nur das Personal ist hier. Die Nacht kostet hier 310
US-$, wir müssen grinsen. Da lob' ich mir eine gemütliche Teelodge der Nepali.
Abstieg nach Namche im Nebel]. Plötzlich sehen wir wilde Tiere, «Ghara1» ge-
nannt, ähnlich unseren Gemsen. Sie sind auch auf einer Banknote abgebildet. Am
Nachmittag Ankunft in Namche Bazar. Zurück in die alte Lodge. Heute wollen
wir feiern. Ich bitte Rudra, mit etwas in Nepali-Schrift ins Tourenbuch zu schrei-
ben. Er schreibt über unsere gemeinsame Zeit, von unserem Treck. Und auf der
anderen Seite in Englisch. Es ist phantastisch, ich bin stolz darauf. Es ist schön,
wenn man in fremden Ländern Freunde hat. Er möchte, dass wir ihn bei unseren
Freunden weiterempfehlen. «Didi, kaana ekdam ramro», das Essen war sehr gut.
Es ist unsere Feier zu viert.

18. Oktober, 10. Etappe:
Namche Bazar-Phakding. Der Abend in der Küche,
mit der ganzen Familie, war schön. Wir geben die Zelte zurück, Abmarsch. Ming-
mar b]eibt bis zum Schluss dabei. Ba]d erreichen wir die 3000-Meter-Grenze. Nun
sind wir 264 Stunden, a]so elf Tage, auf über 3000 m ü.M. gewesen. Immer wie-
der geht's auf und ab; nach dreieinhalb Stunden sind wir am Parkeingang ange-
langt. Der Mount Everest heisst auf nepali «Sagarmatha» und in tibetisch «Cho-
molungma». Auf wiedersehen, Mount Everest Nationa]park. Über Chumo weiter
nach Phakding, 4 Stunden Marsch. Der Ofen brennt schon, die Fensterscheibe hin-
ter mir ist immer noch kaputt. Wieder kommen Expeditionen. Jetzt meine dritte
«Hot Shower», beim Eindunke]n hinter der Lodge. Der Reis schmeckt wieder sehr
gut, es ist der letzte Abend vor Lukla.

19. Oktober, 11. (letzte) Etappe
: Phakding-Lukla. Das Frühstück war tipptopp.
Zögernd kommt die Sonne. Bis zur 'Kala Pattar-Lodge brauchen wir eineinviertel
Stunden, Mittagessen. Rudra hört unseren Walkman. Die Feuerstelle hier ist be-
sonders hübsch. Noch das Stück nach Lukla hinauf, nach zweieinhalb Stunden
sind wir da. Hier endet der Treck! Rudra besorgt uns ein Zimmer. Heute abend
werden wir Mingmar auszahlen. Als wir ihm seinen Lohn geben, knappe 45 Fran-
ken, strahlt er über's ganze Gesicht. Dazu schenke ich ihm 4 Büchsen Rindsgu-
lasch. Morgen kehrt er in sein Dorf zurück. An einer Reepschnur trocknet unsere
Wäsche über dem Ofen. Der Wirt sagt, dass seit vier Tagen nicht mehr geflogen
wurde, weil zwischen hier und Kathmandu schlechtes Wetter sei. Am nächsten
Morgen fliegen die ersten Maschinen ein. Doch es warten schon viele Leute. Ru-
dra will heute unsere Tickets organisieren, es ist schwierig, an sie heranzukom-
men. Enttäuscht kehrt er nach Stunden des Wartens zurück. Es hat nicht geklappt.
21. Oktober: Tagwache um 6 Uhr. Den ganzen Morgen warten wir am Flug-
platz, sechs Maschinen waren schon hier. Das ist das leidige Problem Lukla. Wir
kommen auch heute nicht mehr weg, doch wir haben Zeit. Schon früh am Morgen
steht Rudra im Zimmer, wir packen und hoffen. Er pumpt mich um 20 Dollar an,
er denkt, man könne das Office schmieren. Nun wird die Korruption bei den
Behörden direkt, er verhandelt. Prompt klappt der Deal, er kommt nach kurzer Zeit
mit Tickets und Boarding Pass.
Voller Freude umlagern wir das nächste Flugzeug. Als erste dürfen wir hinein,
das Gepäck kommt auch mit. Super! Um 10.50 heulen die Motore auf. Start. Mit
Vollgas geht's auf den Abgrund zu. Geschafft, wir fliegen. 45 Minuten später lan-
det unsere Twin Otter sicher in Kathmandu. Hotelbezug. Rudra holt seinen Lohn
bei der Trekking-Agentur ab. Es war phantastisch. Tags darauf gehen wir mit un-
serem Sherpa-Freund so richtig gut Chinesisch essen. Dann feiern wir noch lange
im Pub bis zum Abschied. Er möchte von uns ein Zeugnis für seine Arbeit für die
Agentur. Gerne schreiben wir ihm das. Bald verlassen Iris und ich Nepal und rei-
sen weiter nach Thailand und Neuseeland. Diese Zeit hier werden wir niemals ver-
gessen. Und wir haben nun einen guten Freund im Land der Achttausender!
Die Länge des Trecks: rund 80 km, etwa 12000 Höhenmeter.